Kreuzberg K 36

Leben in [der] Bewegung - Kreuzberg inside bis zum Fall der Mauer

Dieses Buch beschreibt subjektiv aber genau und sehr einfühlsam eine Ära in der jüngeren Geschichte unserer Stadt. Die Hausbesetzerzeit in den 80er Jahren ist vielen Menschen nur aus den Schlagzeilen bekannt und wird meist mit brennenden Autos und fliegenden Steinen in Verbindung gebracht. Dies ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Denn hinter dieser kurzen und heftigen Bewegung, der zeitweise mehrere tausend Menschen angehörten, steckte für viele der Wunsch nach einem anderen Leben. Johann-Christoph Wartenberg beschreibt sehr intensiv und emotional seine persönliche Entwicklung seit Mitte der 70er Jahre, als er 18-jährig von Bremerhaven nach Berlin kam. Hier "rutschte" er wie so viele nach ihm in ein Kreuzberg, das sich gerade im Umbruch befand.

"Die Feuerwache sollte ein autonomes Stadtteilzentrum für Kreuzberger werden, ein Treffpunkt für alle, für den es ein riesiges Bedürfnis im Kiez zu geben schien, so voll wie es oft war."

Viele Alt-Kreuzberger verließen zu dieser Zeit - freiwillig oder unter Druck - ihren Stadtteil und zogen in die neue Gropiusstadt. Zurück blieben leere Häuser, die großflächig abgerissen werden sollten, um Platz für "Legosteinarchitektur" zu schaffen. Das östliche Kreuzberg war in den 80ern Aktionsfeld von Bodenspekulanten und Baumafia. Diese wurde massiv gestört durch den Widerstand, der sich in "K 36" entwickelte und der die Umsetzung so mancher Abrisspläne verhinderte.

"Auch um unseren Naunynstrand herum wurde der Kiez Haus für Haus abgerissen, jeden Morgen wurden wir von den dumpfen Einschlägen der Abrissbirnen geweckt. Kreuzberg wurde zerstört. Brutale Räumkommandos zerkloppten im Auftrag der Eigentümer noch intakte Häuser. Mancher Dachstuhl und Keller wurde von Auftragsgangstern in Brand gesteckt, der sogenannte Kreuzberger warme Abriss".

"K36" ist ein Geschichtsbuch für diejenigen, die diese Zeit nicht mitgekriegt haben. Es zeigt aber am Beispiel des Autors auch auf, was sich hinter den buntbemalten Fassaden der besetzen Häuser tat, wie Sehnsüchte nach einer solidarischeren Gesellschaft auf pragmatische oder egoistische Machtspielchen trafen, wie sich eine Szene zusammentat und sich mit wachsender Größe und Druck von außen wieder spaltete. "Die Hausbesetzer" waren keine Einheit, vom jugendlichen Just-for-Fun-Streetfighter über den militanten Autonomen, vom bürgerlichen Studenten bis zum sinnsuchenden Freak war vieles vertreten, und noch einiges dazwischen. Wartenbergs Geschichte zeichnet die Entwicklung der "Bewegung" innerhalb von 15 Jahren nach, vieles sieht man dadurch mit anderen Augen. Zum Beispiel die Rolle der Polizei und des Verfassungsschutzes, die unzählige Male auf eine Weise agierten, wie man es sonst nur von Diktaturen kennt. Das Buch nennt Ort, Datum und Name, die beschriebenen Erlebnisse sind nachvollziehbar. Das macht das Buch so realistisch, es ist ja keine Belletristik, sondern ein Erlebnisbericht.

"Es wird alles aufgefahren, was die West-Berliner Polizei zu bieten hat. Wasserwerfer, Panzerwagen, Räumbagger und Hunderte von Mannschaftswagen. Überall laufen oder liegen Verletzte herum, viele haben Panikanfälle durch das Reizgas, ununterbrochen schleppen wir Leute mit blutenden Platzwunden zu unseren Saniautos."

Das Buch "K 36" sollten sich alle bestellen, die sich für die Geschichte unserer Stadt interessieren oder die etwas über soziale und Widerstandsbewegungen erfahren möchten. Es klärt sowohl über die Bau- als auch über die "Sicherheits"-Politik im West-Berlin der 70er und 80er Jahre auf. Und es ist ein Lehrbuch darüber, dass es durchaus andere Lebensperspektiven geben kann als die, die wir in Schule und Elternhaus gelernt haben.

"Jeder versucht auf seine Art, die Tage möglichst stressfrei rumzubringen und einfach nur sein Leben zu leben. Man redet viel miteinander, es ist ein Schatz, dass die Leute sich so viel Zeit schenken. Niemand scheint ernsthaft auf der Jagd nach dem "Großen Geld" zu sein, kaum einer ist gehetzt und entstellt von der Leistungsgesellschaft. Der schnelllebige Kapitalismus scheint hier noch nicht so richtig vorgedrungen zu sein."

420 Seiten, 15 EUR, ISBN 3-934119-09-3
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